Mein Wehrdienst
11.12.2025 Lesezeit ca. 30 Minuten, 13 Din A4 Seiten, 7800 Wörter
Die Bundeswehrzeit war eine Erfahrung, die mein Leben nicht gebraucht hat. Und es ist eine, die auch heutige Wehrpflichtige nicht brauchen. Wir waren damals ziemlich sicher, nicht in einen echten Einsatz zu müssen und wir hätten - falls doch - die Demokratie verteidigt. Heute soll für die CDU und Überreiche ihr Vermögen verteidigt - oder für die AfD ein neues Reich erobert werden. Ihr, die neuen Wehrpflichtigen, werdet eingezogen, um für die Steigerung des Vermögens einiger weniger machtgeiler Männer zu sterben. Bitte verweigert den Wehrdienst!
Die Musterung
Die Einberufung zur Bundeswehr beschäftigte mich bereits mit etwa 15 Jahren. Ältere Jungs aus dem Bekanntenkreis waren für lange Zeit verschollen und kamen dann mit einem veränderten Wesen zurück. Die Rückkehrer vom Wehrdienst erzählten sich stundenlang von ihren Erlebnissen. Ich konnte dem nicht zuhören, es war mir zu fremd und es gab für die Rückkehrer offenbar kein anderes Thema mehr. An etwas anderem hatten sie irgendwie kein Interesse mehr. Ich hatte also drei Jahre lang Angst vor dem Brief vom Kreiswehrersatzamt. Er musste ja eines Tages kommen.
Und er kam.
Eines Tages, als ich aus der Schule kam, stand meine Mutter im Flur und überreichte mir mit traurigem und betroffenem Blick einen Brief. Am amtlichen Umschlag erkannte man bereits den Inhalt, er war gelb (glaube ich) und trug Stempel auf der Außenseite.
Es war die Einberufung zur Musterung. Mir zog es den Boden unter den Füßen weg und der Tag war gelaufen. Es lag eine Fahrkarte für den Termin bei.
Am Morgen der Musterung war es dunkel, kalt und nass. Vor dem Kreiswehrersatzamt standen sehr viele Jungs, die auf Einlass warteten. Sie waren alle sehr still. Ich lief wie auf Eiern und war irgendwie nicht ganz bei mir. Es fühlte sich wie ein schlechter Traum an.
Wir wurden in einen größeren Raum geschickt und bekamen von einem Lamettaträger stehend den Ablauf des Tages zugebrüllt und wurden in zwei Teile geteilt.
Zuerst war für 'meine' Gruppe die medizinische Untersuchung angesetzt. Dazu wurden wir in eine Sammelumkleide geschickt, die viel zu klein für die vielen Leute war. Dort mussten wir uns ausziehen. Alle gemeinsam und gleichzeitig. Die Unterhose sollte an bleiben und wir sollten uns nun in einer Reihe aufstellen und den Brief mitnehmen. Es wurden Becher für Urin in Empfang genommen. Nacheinander durften wir nun an die Pissoirs auf der Toilette, um den Becher zu füllen. In der Schlange hatte nun jeder einen Becher in der Hand, den er unter Vorlage des Musterungsbescheides an einem Tisch abgeben musste. Danach ging es wieder in die Sammelumkleide, wir wurden aufgerufen. Es war kalt, ich habe elend gefroren und mir war schlecht. Stellt Euch eine Sammelumkleide vor in der dicht gedrängt Jungs in Unterhosen stehen. Da es an den Pissoirs kein Toilettenpapier gab, hatte jeder Junge nun einen nassen Fleck vorn an der Unterhose. So etwas erniedrigendes und menschenunwürdiges hatte ich noch nie erlebt. Wir wurden nacheinander in einen großen Raum gerufen, in dem viele einzelne Tischinseln aufgebaut waren. An jedem Tisch saß ein Schreiber und ein Mann mit weißem Kittel und manchmal noch ein Helfer. Blutdruck, Puls und Abhören gingen noch, an den weiteren Tischen wurden Rücken, Skelett, Muskeln, Beine und Füße untersucht und dauernd von kalten alten Männerhänden ungefragt angefasst. Und natürlich war der Eiergriff dabei, unvermittelt greift dir plötzlich jemand in die Unterhose und grabscht die Hoden.
Danach in die Umkleide, anziehen und in den Versammlungsraum. Nach einer Pause folgte dann der Wissenstest zur Festlegung des Einsatzbereichs. Es waren Multiple Choice Fragen, viele habe ich geraten. Mein Hirn war nicht mehr bei mir, es war in der Scham wegen dem Fleck in der Unterhose und dem Eiertest hängen geblieben.
Ich muss voll verkackt haben aber am vollsten habe ich beim Morsetest verkackt. Hier bekommt man einige Morsezeichen vorgestellt und muss dann die Signale aus dem Lautsprecher als Buchstaben aufschreiben. Ich kann das nicht, Morsezeichen hören ist mir absolut nicht gegeben. Auch später habe ich es noch hundertmal versucht, ich kann es einfach nicht.
Der verkackte Morsetest hat dann auch verhindert, dass ich zu dem Funkern - trotz einer passenden Ausbildung - gesteckt wurde. Wer weiß, wozu es gut war, ich werde es nie erfahren.
Irgendwann war der Tag herum und ich wusste nun, wie das beim Bund läuft. Erniedrigung, schreiende alte Männer und Jungs voller Angst, ihre Identität sterben zu sehen.
Ich hatte den Wunsch, den Kriegsdienst zu verweigern.
Ein Freund war in der Kirche aktiv und bereitete auch gerade sein Verweigerungsschreiben vor. Er hatte ein Muster vom Pfarrer, was angeblich schon einmal akzeptiert wurde, ich müsste es nur umschreiben, gleichlautende Schreiben würden für beide zur Ablehnung führen.
Ich machte mich also ans umschreiben. Leider entspricht mein Verständnis von Kirche und Gott nicht dem des Pfarrers und des Mustertextes, sodass ich nicht zufrieden mit meinem Verweigerungsschreiben war. Ich sendete es nicht ab, auch aus dem Grund, dass ich mittlerweile einen Studienplatz hatte. Und tatsächlich wurde ich für die Zeit es Studiums zurückgestellt.
Der Bund war erstmal ganz weit weg.
Die Grundausbildung
Ich musste jedes Semester eine Immatrikulationsbescheinigung liefern und nach dem Abschluss habe ich dann angerufen und gesagt, ich sei fertig. Bewerbungen die ich nach dem Studium schrieb wurden allesamt mit der Begründung, dass in meinem Lebenslauf der Grundwehrdienst fehlen würde, abgelehnt. Mit Ausnahme der Deutschen Bundespost, die mich dann eingestellt hat und gleichzeitig für den Grundwehrdienst ihrerseits freigestellt hat. Das war alles am Ende des Jahres, als ich die Einberufung bereits vorliegen hatte. Die Verweigerung hätte ich spätestens während der Prüfungszeit im Sommer einreichen müssen, da hatte ich aber andere Sorgen. Termin verpasst, also Wehrdienst - Termin 04.01. in der Augustakaserne in Koblenz. Fahrkarte lag bei - ohne Rückfahrkarte.
Im letzten Vierteljahr hatten meine Freundin und ich eine neue Wohnung gesucht, die ab dem 02.01. bezogen werden konnte. Da die Freundin ihren Job aufgegeben hatte, und Schule weiter machen wollte, war das notwendig. Jeden Tag 4 Stunden in Bus und Bahn waren ihr nicht mehr zuzumuten. So haben wir am 02. ihre alte Wohnung ausgeräumt und in die 60km entfernte neue Wohnung gebracht. Am 03. haben wir unser Bett aufgebaut und die Küche gangbar gemacht und am 04. bin ich weg - ohne zu wissen, wann ich wieder komme. Gegen Morgen bin ich dann in den Zug nach Koblenz, von Nordhessen über Fulda, und Frankfurt. Die Züge, die ich zu nehmen hatte, standen fest, am Bahnhof in Koblenz stand ein Armee-Bus zur Kaserne. Am Abend wurden wir noch eingekleidet, jeder hatte einen Stapel Klamotten, der in einen Spind eingeräumt werden musste. Schreihälse gaben Anweisungen zum Falten der Hemden und der Ordnung im Sprint, die komplette(!) Privatsphäre beschränkte sich auf ein Wertfach, dessen regelmäßige Kontrolle angekündigt wurde. Ja, es wurde an dem Abend viel geschrien und auch wie das Bett gebaut werden muss. Bett bauen (also Kissen und Decke anordnen) ist eine sakrale Handlung und offenbar im Krieg essentiell überlebenswichtig. Es ist neben der sinnlos akkuraten Ordnung im Spind ein steter Quell von willkürlicher Erniedrigung. Und wurde in der Einheit in Koblenz bis aufs Äußerste ausgereizt. Im Nachhinein betrachtet, wäre das ein Fall (von mehreren) für den Wehrdienstbeauftragten gewesen, der sich um die ganz wenigen verbliebenen Rechte der Soldaten kümmern sollte. Meist wurde die Wehrdienstbeauftragten sowieso nicht einbezogen, weil dann die Schikanen lt. Berichten älterer Soldaten noch schlimmer wurden.
Der zweite Tag war wieder medizinische Untersuchung, gleiches Procedere wie oben - nur in nun olivfarbenen Unterhosen. Eigene Unterwäsche war verboten. Ich habe kaum Erinnerung an die Untersuchung, ich war nur eine Hülle, ein Zombie. Ich war in einer Instandsetzungskompanie für Panzer gelandet und wenigstens nicht bei den Panzerschützen. Aber bevor die Ausbildung an den Panzern losgehen würde, sollten wir zunächst ein paar Wochen Zucht, Ordnung und Gehorsam lernen. Das wurde genau so kommuniziert und auch praktiziert. Durch Sadisten von Berufs wegen.
Jeden Tag wurde der Bettenbau kontrolliert und lautstark kritisiert, ebenso mit der Ordnung im Spind. Man konnte machen was man wollte, immer war es falsch. Und jeden Tag Zimmer, Flur und Klos putzen und immer war elende Schreierei. Ich musste mal eine Nacht vor meinem Spint stehen und auf eine Nachkontrolle warten, da die Kleiderstange den Fingertest nicht bestanden hat. Einer der Schreihälse hat mit dem Finger drüber gestrichen und einen grauen Finger gehabt. Als ich erwähnte, dass die Kleiderbügel beim drüberschieben Material von der eloxierten Stange lösen und das nie sauber wird, war Party. Es wurde mir Wochenendausgangsverbot angekündigt und ich sollte nachreinigen und stehend neben dem Spint auf die Nachkontrolle warten. Irgendwann bin ich an der Wand heruntergerutscht und auf dem Boden eingeschlafen.
Ich war durch die Zurückstellung etwa 6 Jahre älter als alle anderen und damit auch älter als die meisten der Ausbilder. Und ich hatte ein Diplom. Allein diese Tatsache hat mir wahrscheinlich mehr Erniedrigung eingebracht, als ich bei den Kollegen erfahren habe - wobei ich natürlich bei deren Erziehungsmaßnahmen nicht immer dabei war. Ich vermeide absichtlich den militärischen Begriff für die Kollegen, ich kann und konnte ihn noch nie leiden.
Und Formalausbildung. Wir mussten stundenlang bei Eiseskälte marschieren (es war Januar und die Winter waren noch kalt), rühren, rechts und links drehen und komische Lieder singen. Ich war der größte und daher der, der als Taktreferenz dienen musste. Nun ist mein Taktgefühl (bezogen auf Rhythmus) eher nicht vorhanden. Entsprechend war das Chaos im Glied (das ist die in Formation befindliche Gruppe, nicht was ihr denkt) und wir wurden von den Erziehern in Grund und Boden gebrüllt.
Essenszeiten waren so gelegt und so kurz, dass wegen Andrang kaum ein Essen möglich war, Sport und Drill und Erniedrigung den ganzen Tag. Bier war in der Stube verboten, also blieb abends nur der Gang zur Kantine (oder wie das hieß ) um den Level aufzufüllen um das Gedankenkarussell abzuschalten und schlafen zu können. Da in der ersten Woche niemand das Wertfach kontrolliert hatte (das ist auch nur in ganz schweren Fällen erlaubt), brachte ich dann kleine Colaflaschen gefüllt mit Rum mit und lagerte sie dort.
Der Level durfte nicht zu hoch werden, denn etwa zweimal die Woche kam der Feind. Natürlich Nachts. Zwischen 3 und 4. Dann war anziehen und antreten auf dem Hof. Dazu musste jeden Abend der Stuhl 'gebaut' werden, auf einem Stuhl mussten die Klamotten so aufgestapelt sein, dass man sie schnell anziehen konnte. Natürlich ging es stets zu langsam. Der Trick war, Hose und Jacke über den Schlafanzug zu ziehen (ja, blauer Dienstschlafanzug über der Dienstunterwäsche war Pflicht und wurde kontrolliert). Dann ging es schneller. Und in Stiefeln sind Treppenstufen eher unwichtig. Treppen kann man damit wie auf einem Abhang herunterlaufen. Draußen wurde dann bis um 5 herummarschiert, gedreht und gerührt und damit war dann offenbar der Feind so verschreckt, dass wir wieder ins Bett durften.
Um 5:30 wurde dann geweckt.
Mit den Kollegen in der Stube hatte ich keinen brauchbaren Kontakt. Wir haben kaum miteinander geredet, ich weiß nicht warum. Die Kollegen waren sehr verschlossen und aus heutiger Sicht würde ich sie als traumatisiert bezeichnen. Beim Laufen mit Gasmaske und Vollschutz in Woche 3 (also Laufen im Sinne von schnell), ist dann mein Kreislauf kollabiert. Da war dann Panik. Und als ich sagte, der Doc hätte beim Einstellungstest gesagt, ich wäre MFG befreit, war Kubikpanik und warum ich das nicht gesagt hätte etc. Ich dachte, das würde an die Kompanie weitergegeben und zudem hatte ich echt keinen Schimmer, was MFG ist. Marsch-Sport-Gepäck erfuhr ich dann und habe bis heute keine Ahnung, warum der Doc das bei der Untersuchung am zweiten Tag in Koblenz verfügt hatte. Ich musste dann zu ihm, und ich erlebte ihn als einfühlsamen Menschen. Beim ersten Kontakt vor knapp drei Wochen war ich ja Zombie und habe irgendwie nix realisiert. Offenbar hat er das gemerkt. Den Rest des Tages hatte ich dann lt. medizinischer Anordnung frei und musste mich auf der Stube aufhalten.
Am nächsten Tag wurde ich zum Kompaniechef gerufen. Es war mir inzwischen alles so egal, der Chef hätte mir Wochenendausgangsverbot, Inhaftierung oder die Guillotine verkünden können, es war mir scheißegal. Guillotine wäre nice gewesen, sie hätte das Martyrium endlich beendet.
Nach dem üblichen Begrüßungsritual teilte er mir mit, dass ich für die Ausbildung zu einem guten Panzerinstandsetzer nicht geeignet wäre und ich zu den Sanitätern nach Marburg versetzt würde, die würden nicht 'so viel machen' und ich solle SOFORT meinen Spind in dem Seesack verpacken und mich an der Wache melden. Aaaachtung! Abmarsch!
Ich tat wie geheißen. Mit Freude. Die Stube war leer, die Kollegen waren wohl Tanzen (also Marschieren) oder irgendwas wichtiges putzen. Verabschiedung fiel also aus. An der Wache bekam ich den Marschbefehl incl. Fahrkarte und wurde auf der Ladefläche eines LKW zum Bahnhof gekarrt.
Ich zerrte meinen Seesack vom Lastwagen und ging in die Bahnhofshalle. Mein Zug fuhr in etwa zwei Stunden. Die Hetze und Eile war also total angebracht. Ich saß in Uniform in der Bahnhofshalle und fühlte mich so frei wie nie zuvor. Ich hätte vor Glück jubilieren können, die Endorphine fuhren Karussell. Koblenz lag hinter mir, Koblenz war zu Ende, ich würde nie wieder Koblenz besuchen! NIE WIEDER! Ich habe das bis heute mit Ausnahme einiger beruflicher Zwangsaufenthalte durchgehalten und weiterhin kein Interesse, das Deutsche Eck zu sehen. Ich hatte zwar keine Ahnung, was auf mich zukommen würde, aber schlimmer konnte es nicht kommen. Irgendwann kam der Zug und brachte mich über Limburg und Wetzlar nach Marburg. Ich erinnere mich, das die Strecke wunderschön war und das wahrscheinlich nicht nur wegen den Endorphinen. Der Zug war leer und warm.
In Marburg wurde ich bereits am Bahnhof erwartet. Ein Militär-Bulli vor dem Bahnhof fällt auf. Der junge Fahrer stieg aus, und öffnete die Schiebetür des Busses. Er war überraschend gut drauf, hieß mich herzlich und freundlich willkommen, lud meinen Seesack in den Bulli, drehte die Heizung im Auto hoch und schaltete sein Taschenradio an. Ein Kofferradio! Im Auto! Beim Militär! Sowas hätte in Koblenz für 6 Monate Kerker gereicht! Seine Stiefel waren matt, seine Jacke zerknittert, die Hose hellgrün und verwaschen. Und er trug ein weißes T-Shirt unter der Uniform - das wären in Koblenz weitere 6 Monate Kerker.
Als wir ankamen, war Aufruhr in der Kaserne. Alles tobte planlos umher und mir wurde zwischendurch mein Bett gezeigt. Es war die untere Etage eines Doppelstockbettes, von denen drei weitere die Wände verdeckten. Jeweils zwei Spinde passten an jeder Wand noch dazwischen, die restlichen Spinde standen in der Mitte des Raums. Die Zahl der Spinde war ungerade, es waren neun statt acht. Eins war zu viel. Vor diesem Spind stand in der Raummitte ein Tisch mit 4 Stühlen. Mehr passten hier nicht hin. Die anderen Stühle standen vor den Betten. Der Raum war so voll und eng, dass zum Öffnen der Zimmertür jemand vom Tisch aufstehen musste. Daher stand die Tür fast immer auf und das Türblatt bildete mit meinem Doppelstockbett in der Ecke eine Höhle für mich. Die Tür stand auch auf, weil alle in der Stube rauchten und wir stets Besucher aus Nichtraucherzimmern hatten und auch Raucher brauchen Spuren von Sauerstoff.
Ich legte meinen Seesack auf das Bett, ein Spind wurde mir noch nicht zugewiesen. Es fand sich auch niemand zum fragen, denn es war heftig Betrieb im Gebäude.
Heute Abend sollte eine Leistungsüberprüfung stattfinden, irgendwelche Ergebnisse würden auf große Wissenslücken bei den Rekruten hinweisen. Es gab einen Parcours abzulaufen. Von Tür zu Tür. Dort standen immer Tische mit irgendwelchen Zetteln, die auszufüllen waren. Es ging um Militärsachen, ein paar Sanitätsdinge, um Recht und Gesetz, die Verfassung etc. Ich beantwortete die Fragen nach bestem Wissen und Gewissen. Und es ging auch um Waffen. Ich sollte eine Pistole mit einem Sack über dem Kopf auseinander nehmen und wieder zusammenbauen. Ich hatte noch nie so etwas in der Hand. Mir wurde der Sack übergestülpt und ich tastete nach der Pistole. Eine fremde Hand führte die Meine in die Nähe des Gerätes. Das Ding war überraschend schwer und unangenehm kalt. Ich murmelte was von eben erst angekommen und noch nie sowas gesehen, fummelte planlos an dem Metallding herum und wurde irgendwann erlöst. Erst dann konnte ich einen Blick auf die Waffe werfen und ein Ausbilder zeigte mir, wie das Teil zerlegt wird. Statt Begeisterung zeigte ich Abneigung. Es war okay und ich wurde dafür nicht gescholten. Sie müssten das ausbilden, erfuhr ich. Okay, hier war ich nicht komplett falsch.
Mein erster Kontakt mit einer Waffe fand also mit einem Sack über dem Kopf statt und ich schwor mir, nie mit so etwas zu schießen - und um es vorwegzunehmen, es hätte beinah' auch geklappt. Der Parcours war zu Ende und wir durften Feierabend machen. Die Kollegen im Zimmer boten mir Bier an und wir tranken es und ich musste erzählen, was mich hergeführt hat. Wir tranken, rauchten quatschten etwas und morgen bekäme ich meinen Spind, die Bierkästen müssten noch herausgeräumt werden. Um 10:30 schaute ein Unteroffizier ins Zimmer, ermahnte zur Ruhe und schaltete das Licht aus.
Am nächsten Morgen um 5:30 war Wecken. In Koblenz wurde das intensiv mit einer Trillerpfeife gemacht, in Marburg brüllte nur ein Unteroffizier durch den Flur. Für Frühstück war genügend Zeit, danach ging es in den Schulungsraum. In den knapp drei Monaten erhielt ich eine wirklich umfassende Ausbildung als Sanitäter. Erste Hilfe, Verbände anlegen, Umgang und Pflege von den Patienten, Anatomie, Krankheitssymbole, Kreislauf, sichere Todeszeichen und vieles mehr. Und ich lernte die Antwort auf die Frage, die bei zivilen Erste Hilfe Kursen spätestens nach zwei Stunden Kurs immer kommt. "Was mache ich, wenn zu viele Verletzte zu versorgen sind?"
Triage.
Medizinische Versorgung beim Militär ist keine diakonische Leistung, kein sozialer Dienst. Jedenfalls nicht im Krieg. Es geht darum, möglichst schnell einen verletzten Soldaten wieder 'kampffähig' zu machen. Natürlich versorgt man Verletzte und bringt sie ins Lazarett - wenn Zeit und Möglichkeit ist.
Aber wenn nicht, dann nicht. Das eigene Überleben ist wichtiger. Es nützt auch im zivilen Leben nichts, wenn nachher der Patient und der Helfer leblos in der Gegend herumliegen. Ab einem Punkt, den der Helfer selbst bestimmen muss, muss jeder selbst versuchen, klar zu kommen. Leider auch der Verletzte. Es gab auch psychologische Tipps, wie man als Helfer damit klarkommen kann.
Die Ausbildung war eine ganz andere, wie ich sie in Koblenz erleben musste. Viel menschlicher, viel emotionaler und intensiver. Das hatte natürlich was mit dem Thema zu tun. Die Kollegen wuchsen zusammen, die allermeisten waren 18 Jahre alt und ungeplant hier als Sanitäter gelandet. Im Gegensatz zu den mir bekannten zivilen Rettungshelferschulungen wurden uns nur selten, und wenn dann mit Vorwarnung, Bilder von schweren Verletzungen gezeigt, nicht jeder kommt damit klar.
Jeden Mittwoch war Außendienst. In voller Montur, Rucksack und dem Gewehr G3 auf dem Rücken. Statt nur im Matsch herumzurobben, mussten wir Kollegen aus Löchern, Dächern und verfallenen Gebäuden 'retten', also sie (theoretisch) Erstversorgen und dann abtransportieren. Ein Mensch ist unglaublich schwer und sehr schwierig zu bergen. Es fehlt der Griff und auch die Stabilität einer Kiste. Es gab Kollegen, die gern als Verletzte genommen wurden, mich wollte aufgrund meines Gewichtes und Größe niemand als Übungsopfer haben.
Ich erinnere mich an einen Übungseinsatz, der 'Feind' bombardierte dauernd und wir mussten einen Übungsverletzten auf der Trage transportieren. Der Ausbilder schrie rum dass die Angriffe nun so nah waren und wir sollten in einem Bachlauf abtauchen und dort weitergehen. Es war übrigens Februar und Frost. Mit einem Kollegen trug ich die Trage, auf der unser Leichtester festgeschnallt war. Ich war vorn und der Kollege hinten an der Trage. Wir liefen so lange am Rand des Baches entlang, bis der Kollege hinten abrutschte und in den Bach glitt. Ich konnte die Trage auch nicht mehr halten und versank im Wasser.
Der festgeschnallte Verletzte auch. Komplett. Mitsamt Trage und Kopf. Alles unter Wasser. Wir holten ihn sofort wieder hoch und der arme Kerl schrie um sein Leben. Gottlob hatte er es noch. Da er festgeschnallt war, konnte er gegen sein Abtauchen nichts machen, er wäre tatsächlich fast ertrunken. Die Griffe einer Trage sind im Matsch und im trüben Wasser echt schwer zu finden und zu greifen.
Offenbar war der Feind von der Situation so geschockt, dass er das Feuer einstellte und wir auch vorzeitig in die Kaserne zurück durften. Heiß duschen und Klamotten wechseln - und natürlich am Abend das G3 putzen während überall in der Stube nasse Uniformen zum Trocknen an den Bettgestellen hingen. Das Klima war subtropisch. Abends erzählten die Kollegen von ihren Beziehungen, die am Zerbrechen waren, von ihren Ausbildungen, die sie nun nicht antreten konnten und von ungewissen und zerstörten Zukunftsplänen. Einer hatte eine Autowerkstatt aufgebaut, deren Kredite und Miete nun nicht mehr bezahlt werden konnten, ein anderer hatte eine Schreinerei übernommen, die er aus den selben Gründen wie der Schrauber seine Werkstatt nun an die Bank zur Versteigerung abgeben musste. Existenzen gingen kaputt. Als Heilmittel tranken wir Bier und rauchten. Der neunte Spind war inzwischen das Bierlager geworden und beinhaltete auch (m)einen Fernseher. Ja! Total verboten wegen GEZ und wasweisich für Bestimmungen. Wenn die Türen zu waren, sah ihn niemand und die Vorgesetzten schauten leicht grummelnd darüber hinweg.
Komischerweise hatten wir in Marburg nie einen Nachtalarm mit Antreten auf dem Hof. Das war wirklich sehr ungewöhnlich, ich schreibe es den eher menschlich veranlagten Ausbildern zu, die für so einen Scheiß wahrscheinlich genau so wenig Lust hatten, wie wir Rekruten.
Im letzten Monat war die in der Grundausbildung obligatorische 36 Stunden Übung wo wir mit vollem Gepäck und Zeltplanen in einen Wald verbracht wurden. Jeder hatte eine Plane für ein halbes Zelt, zum Übernachten braucht man also einen Partner. Bei einer ungeraden Zahl von Teilnehmern beißen den Letzten die Hunde, er durfte dann zusammen mit dem Kompanieführer die beiden Nächte verbringen. Es gibt schlimmeres, zum Beispiel, dass das Zelt keinen Boden hat. Das ist ohne Matratze ganz schön kalt, nass und hart und zieht wie Hechtsuppe über die Nieren. Stiefel werden übrigens innen warm und trocken, wenn man benzinbetriebene Katalyt Handwärmer über Nacht in die Schuhe legt. Fast nichts ist unangenehmer, als dauernd nasse und damit auch kalte Füße in diesen klobigen Stiefeln. Die Übung verlief ziemlich chaotisch, man konnte sich daher hervorragend unsichtbar machen und seine Ruhe haben. Abends war Lagerfeuer und wegen Alkoholverbot musste der Rum aus dem Essgeschirr getrunken werden. Am letzten Tag mussten wir in einer Reihe etwa 30km in die Kaserne wandern. Dabei ist es von Vorteil, an der Spitze der Reihe und dort mit konstanter Geschwindigkeit zu laufen, der Schwanz zieht sich weit auseinander, staut sich plötzlich, und dann muss man rennen, um den Anschluss an die Gruppe und den Weg samt Orientierung nicht zu verlieren.
Am Ende der drei Monate war eine Prüfung über den elenden militärischen Kram und über die Inhalte der Sanitätsausbildung. Diese war so angelegt, das jeder durchkommen musste - zur Not bekam man während der Prüfung noch schnell eine Nachhilfe und musste das Thema dann kurz in einem Interview wiederholen. Bei schwierigen Fällen bestand das Interview eher aus der Wiederholung des Lehrstoffs durch die Ausbilder als Ersatz für die fehlenden Antworten des Prüflings.
Ende März war die Grundausbildung vorbei und wir wurden in die Stammeinheiten versetzt. Ich wurde einem San-Bereich in Kassel zugeordnet, wir verloren uns für immer aus den Augen.
In der Stammeinheit
Der Übergang in die Stammeinheit passierte genau am 31.März. Die Züge waren voller Rekruten, die an diesem Tag ihren Umzug machten, um in der neuen Kaserne ihre erste Nacht in neuer und ungewohnter Umgebung zu verbringen. Niemand wusste, wie die neuen Einheiten tickten, wie der Umgang der Soldaten untereinander war, wie 'Neue' empfangen und behandelt wurden und wie fies die Vorgesetzten drauf waren. Das Selbstbewusstsein schrumpfte auf Erbsengröße zusammen und die Angst legte sich um die harte aber zerbrechliche Hülsenfrucht.
Morgens auf dem Hof antreten kannte ich von Mittwochs in Marburg. Ich wurde in ein Büro befohlen und nach Strammstehen und Gruß wurde mir mitgeteilt, dass ich für den Führerschein vorgesehen wäre, aber dafür '2' gemustert werden müsste. Bisher war ich '3, beschränkt verwendungsfähig'. Ich musste in den San-Bereich, aber noch nicht als Mitarbeiter sondern als Patient.
Mein zukünftiger Chef, ein muffeliger und strenger Arzt betrachtete mich und schrieb mich ziemlich Verwendungsfähig (oder wie dass heißt) und ich wurde am gleichen Tag in eine andere Kaserne versetzt. Da ich in Kassel wohnte, konnte ich meine Klamotten da lassen und heimfahren.
Am nächsten Morgen meldete ich mich in der anderen Kaserne um den LKW Führerschein zu machen. Die Ausbildung sollte drei Wochen dauern und für die Fahrschüler würden einige Bestimmungen in der Kaserne nicht gelten. So wäre es ausreichend, wenn man zum Unterrichtsbeginn um 8 oder halb neun da wäre und nicht zum Wecken. Und bei Unterrichtsende am frühen Nachmittag konnte man nach Hause gehen. Einfach so. Wir lernten allgemeine und Klasse 2 spezifische Theorie und fuhren zu dritt (natürlich abwechselnd) mit einem Fahrlehrer mit LKW und Anhänger durch Kassel. Einer der dreien musste immer in der Kaserne bleiben und warten weil der LKW nur drei Plätze hatte. Das Warten war langweilig. YouTube und TikTok gab es noch nicht, wir lösten Prüfungsfragen, denn die anstehende Prüfung war echt. Da konnte man auch durchfallen und dann war man seinen zugewiesenen Job los. Und Autos haben eine Heizung und ersparen das militärische Laufen - gerade dann, wenn man der Fahrer ist. Daher lag uns viel daran, die Prüfung zu bestehen. Freitags war der Fahrlehrer nie da und wir drei waren allein in der Kaserne. Wir durften den LKW auf dem Gelände nutzen und übten Rückwärtsfahren mit zweiachsigem Anhänger. Mit einem Auto und einem Einachser ist die Sache ziemlich übersichtlich, in einem LKW und zwei Achsen am Anhänger eine Katastrophe. Unsere ersten Versuche endeten immer in einem perfekten Knoten. Mit einem Spielzeug LKW übte ich auf dem Küchentisch, wie der Anhänger reagiert, wenn man lenkt. Bereits am zweiten Freitag ging geradeaus rückwärts schon ziemlich gut und wir begannen, rückwärts um die Ecke einzuparken. Ich habe die Übung inzwischen verloren, aber immer noch einen hohen Respekt vor Fahrern, die das in einem Zug hinbekommen.
Die Prüfung bestanden wir alle und konnten zurück in die Stammeinheit, 6:00 Dienstbeginn für Heimschläfer.
Den San-Bereich regierte ein Feldwebel. Er war stets gerecht und kümmerte sich um seine Untergebenen. Er versuchte immer eine gute Stimmung aufrecht zu erhalten und sagte uns, wie wir uns ihm gegenüber zu verhalten haben, wenn jemand zuschaut - egal ob Patienten oder andere Vorgesetzte. Das lief gut. Ich übernahm - oder besser, mir wurde befohlen - zunächst das Archiv zu übernehmen, in dem hunderte Gesundheitsakten von Soldaten lagen und die entsprechenden Dokumente auf einem riesigen Haufen daneben. Die Vorgänger hatten keine ganze Arbeit geleistet. Mit einem Kollegen verbrachte ich Wochen in dem engen Büro um die Dokumente in die einzelnen Akten abzuheften. Inzwischen war es Mai und ziemlich warm geworden. Das Büro hatte den Vorteil, das wir unsere Ruhe hatten und den Nachteil, dass man den langsamen und einsamen Bürotod starb. Außer einem (natürlich) illegalen und streng verbotenen Radio gab es keinerlei Interaktion mit dem 'Draußen'.
Da der Kollege noch bis Ende Juni der 'Fahrer' war, war für mich nur Innendienst. Erst zu seinem Wehrdienstende kam ich dauerhaft aus dem Büro raus. Ein nachfolgender Rekrut musste das übernehmen. Okay, so lief das.
Wieder zurück im Leben half ich dem armen Rekruten in dem Bürogefängnis und machte ihm Mut. Ich arbeitete nun hauptsächlich im San-Bereich. Patienten empfangen, Vitalparameter, Wundversorgung, Verbände legen etc. Wie in einer normalen Arztpraxis. Zwischendurch mussten Patienten zur Weiterbehandlung oder Röntgen ins Krankenhaus oder es mussten Blutproben ins Labor oder die Ergebnisse von dort abgeholt werden.
Zu Zeiten von Musterungen war Hochbetrieb und ich stand nun selbst an einem der vielen Tische, die ich von meiner Musterung kannte.
Und ich schaute stets in ängstliche und unsichere Augen der Musterungskandidaten, bei den härtesten Kerlen genau so wie bei den schüchternen Jungs. Es waren alles noch Kinder, normalerweise 17 Jahre alt und ohne Lebenserfahrung. Den allermeisten stand das bevor, was ich zu einem großen Teil schon hinter mir hatte und damit leben gelernt hatte. Mit meinem Blick versuchte ich den Jungs Zuversicht und Hoffnung zu übermitteln, mit ihnen kurz sprechen ging nur bei der Blutdruckmessung, da man dort eine kurze Zeit eng zusammen außerhalb der Hörweite der Vorgesetzten war. Musterungen waren für mich immer empathische Achterbahnfahrten.
Mittwoch Nachmittag war immer Dienstsport. Dauerlauf durch die Kassler Aue. Ich hasse Laufen. Ich kann das nicht. Ich kann es körperlich nicht, wie ich heute weiß. Sichelzellenanemie - weiß der Geier, welcher meiner Vorfahren das aus Italien oder Nordafrika mitgebracht hat. Danke für die internationalen Gene, eine möglichst große Mischung beschert stabilere Gesundheit und im Mittel auch ein längeres Leben. Zudem schützt es ein bisschen vor Malaria, ist aber unvorteilhaft bei Ausdauersport. Wenn die Kollegen bei der dritten Runde der 5 km Runde mich überholten, war ich immer noch so etwa bei der Hälfte - der ersten Runde. Es war eine Qual. Also versuchte ich alles, um mich Mittwoch Nachmittag unsichtbar zu machen. Ich machte Patiententermine mit externen Praxen gern Mittwochs nach dem Mittag. Termine mit der Fahrzeuginstandhaltung: Mittwoch nach 13:00, Reinigungsschichten, Mittwoch Nachmittag etc. Mit der Zeit konnte ich das so perfekt, dass ich die letzten 9 Monate meines Dienstes nur noch zwei mal mit zum Sport musste.
Bei Übungen anderer Kompanien musste immer mindestens eine Sanitätsbegleitung mitfahren. Das war dann ich mit meinem VW Bus. Der hatte Standheizung und natürlich ein verbotenes Radio aus meinen Beständen unter dem Armaturenbrett. Bei miesem Wetter war der Bus stets voll mit durchgefrorenen, durchnässten und total müden Jungs. Ernste Zwischenfälle hatte ich nicht, das schlimmste war eine offene Schwellung nach dem Biss von irgendeinem Tier bei einer mehrtägigen Übung, die ich direkt vom Übungsplatz ins Krankenhaus, statt in den San-Bereich schickte. Das machte mir etwas Ärger, dem Patienten bot es aber die sofortige fachkundige Ausschabung des schlimm infizierten Bereichs und bewahrte ihn vor einer Blutvergiftung.
Ich habe noch über einige Wochen seine Wunde gereinigt, neu verbunden und habe ihm nie gesagt, was genau in seinem Arm drin war. Ich fühlte, er wollte es nicht wissen und ihr als Leser sicher auch nicht.
Daneben gab es einen Haufen verstauchte Füße und Bänderrisse. Bis auf einen, den ich auch gleich ins Krankenhaus bringen ließ und sich der Fuss dort als mieser Bruch herausgestellt hat (wieder war mein Bauchgefühl richtig und ich bekam wegen meiner eigenmächtigen Entscheidung diesmal auch keine Rüge mehr), kamen alle anderen aber nicht zum San-Fahrzeug auf dem Übungsplatz, sondern am nächsten Tag in den San-Bereich. Die Stiefel sind wie ein Gips, aber am nächsten Tag ist bei einem Bänderriss nichts mehr mit Laufen und der Stiefel auf der betreffenden Seite passt genau so wenig wie der Badelatschen. Viele von diesen Jungs musste ich dann ins Krankenhaus zum Röntgen fahren.
Damals wurde der Fuß zum Röntgen noch in die Position des Unfalls gebracht - und ja, das hört sich genau so schlimm an, wie es ist. Ohne Betäubung, denn wir waren ja Soldaten aus der Kaserne.
Ich musste immer draußen bleiben und wartete auf dem Flur auf den herzzerreißenden Schrei meines Patienten aus dem Röntgensaal. Es war grausam. Einige fragten mich, warum ich sie nicht vorgewarnt hatte. Ja, weil Angst ein schlechter Begleiter und Ratgeber ist und sich die Muskeln bei der Bewegung in den geknickten Zustand verhärten und der Schmerz noch größer wird.
Natürlich gab es auch Ausflüge, sogenannte Übungen. Der San-Bereich wurde auf den LKW verladen, die Kollegen fuhren im Bulli und dem Krankenwagen mit. Während die anderen Einheiten in Zelten wohnten, suchte unser Feldwebel des San-Bereichs feste Gebäude wie z.B. Dorfgemeinschaftshäuser oder Sportlerheime für sein Lazarett. Das war trocken und warm. Ich stattete die Wachen des Bereichs mit CB-Funk aus und so waren wir vor den zur Übung gehörenden Überfällen 'feindlicher Truppen', also den Kollegen aus der eigenen Kaserne, zwar nicht geschützt, aber die Wache konnte Bescheid geben, dass jemand kommt. Im Haus hatten wir dann noch die Möglichkeit, den Rum wegzustellen, ein bisschen Aufzuräumen und das Licht zu löschen. Meist waren bei den Angreifern irgendwelche Vorgesetzten dabei, die dieses Spiel lustig fanden und dann natürlich gucken kamen.
Und warum immer ausgerechnet Rum als Dope? Rum mit 54% hatte damals die höchste Effizienz in Bezug auf Wirkung, Packungsgröße und Gewicht. Und half gegen Erkältungen, wenn man nur fest genug daran glaubte. Und wenn der Rum alle war, gab es den guten Hustensaft 'minimal' abweichend von der Dosierungsanleitung. Ich sehe uns immer noch im Dunkeln auf einer Übung sitzen, jeder eine große Flasche Hustensaft mit entfernter Dosierungsöffnung in der Hand. Hustensaft war daher auf Übungen immer genügend vorhanden, wir achteten auf entsprechend umfangreiche Nachbestellungen. Und Husten bekamen wir auf den Übungen auch nie, was ich aber nicht unbedingt dem Genuss des Saftes sondern eher der Fürsorge unseres Chefs zuschreibe.
Es fehlt noch die Geschichte von meinem Schießbuch. Als Sanitäter mussten wir nicht zwingend Schießübungen machen und wir brauchten es unter unserem Feldwebel auch nicht. Es bestand Hoffnung, dass ich ohne einen Eintrag im Schießbuch den Bund verlassen konnte. Leider war ich eines Tages für eine San-Begleitung auf dem Schießplatz einer sehr eifrigen Kompanie. Ich saß im Bus und wartete auf den Abend - solange bis deren Lamettaträger in meinem Bulli auftauchte und mich zum Schießen zwang. Ich wehrte mich den Umständen entsprechend, musste aber dennoch mit einer Pistole, der Waffe der Sanitäter lt. dem Weihnachtsbaum, Löcher in Pappfiguren schießen. Der Rückstoß einer Pistole mit scharfer Munition ist gewaltig und meine Hand schmerzte noch Tage danach. Ich traf auch irgendwas und das sollte nun in mein Buch eingetragen werden. Das musste immer dabei sein und ich log, dass ich es vergessen hätte. Ich handelte mir ein paar 'Aaachtung!' mit Androhung von Gottweisswas für Konsequenzen ein. Egal, ich wollte sowieso keine Karriere bei dem Verein machen. Ich sollte dann das Buch in der Kaserne am soundsovielten bei demunddem zwecks Eintrag vorlegen. Komischerweise kam genau exakt an dem Tag eine dringende Patientenfahrt dazwischen - so ein Pech. Ich meinte, damit aus der Nummer draußen zu sein.
Weit gefehlt. Tags später musste ich zu meinem Feldwebel-Chef, der mein Schießbuch verlangte, um den Eintrag machen zu lassen. Er wäre von einem Weihnachtsbaum dazu aufgefordert worden.
Ein paar Tage später bekam ich das Buch zurück.
Mit einem Eintrag über Pistolenschießen.
Sanitätsbegleitungen sind eine Sache für sich. Wie im zivilen Leben dürfen Sanitäter beim Bund keine Medikamente verabreichen. Und für den folgenden Text hoffe ich, das das inzwischen verjährt ist.
Es gab eine Sanitätstasche, wo Verbände und Pflaster drin waren. Mehr nicht.
Mein Vorgänger beriet mich über die Erweiterung der Tasche mit einem Blutdruckmessgerät, ein paar Schmerztabletten, Salbe für Mückenstiche, Kältespray für Verstauchungen und so Tabletten mit Mineralien drin. Eine Art Nahrungsergänzung für dehydrierte Patienten, die ihre Mineralien durch Schwitzen ohne was zu trinken verloren hatten. Es war zwar Befehl, immer eine gefüllte Wasserflasche dabei zu haben, aber zum Einen hat das Ding nur einen halben Liter Kapazität und reicht niemals über einen warmen Sommertag und zum Anderen wird das Gepäck ein halbes Kilo schwerer. Es gab also viele dehydrierte Kollegen, die Hilfe bei der Sanitätsbegleitung suchten. Kopfschmerz, Abgeschlagenheit, Müdigkeit. Dagegen half Wasser aus dem Wasserkasten im Bulli und dieses isotonische Tablettenzeugs. Und zur Not eine Aspirin. Nach einer halben Stunde waren die wieder fit und dankbar.
Mückensalbe brauchte es oft im Sommer, die Tuben habe ich den Patienten mitgegeben, denn das Zeug hilft nur kurz. Wespenstiche wurden gekühlt und die Leute bei großer Schwellung in den San-Bereich geschickt. Den Transport des Kollegen dorthin übernahmen die übenden Kompanien selbst. Ansonsten eben Bänderrisse und Verstauchungen. Sehr viele.
Der San-Bereich pflegte einen intensiven Kontakt mit der Küche. Ich weiß nicht warum, aber das scheint immer so zu sein. Manchmal musste ich ein Päckchen hinbringen, in denen Pflaster und Aspirin waren. Ich fragte nicht, das ging mich nichts an. Aber dafür bekam ich EPAs und konnte mir oft zum Dienstschluss eine Tüte mit übrig gebliebenem Mittagessen abholen. Ein EPA ist eine EinPersonenPackung mit Essen für den Kriegseinsatz. Darin waren Hartkekse, die ihrem Namen wirklich Ehre machten, Schokolade und Fertigessen zum Erhitzen. Außerdem Käse in einer Tube, Wurst in Dosen, Salz, Pfeffer etc. Die Dinger haben eine Haltbarkeit von mindestens 10 Jahren, und anstatt sie wegzuwerfen wurden sie offenbar in der Kantine verarbeitet oder auch unter der Hand an Freunde verschenkt.
Ich hatte welche, die fast so alt wie ich damals waren. Die gingen nicht kaputt. Es gab so eine Art Käsenudeln, die waren lecker, der Rest ging so. Und wenn ich im Keller suche, finde ich sicher heute noch eine Packung Hartkekse. Die waren schrecklich.
Über diese Nahrungsergänzung waren meine Freundin und ich sehr froh. Wir lebten von meinem Sold von etwa 300 Mark und ihrem Bafög in ähnlicher Höhe. Davon ließ sich Wohnung, ihre Fahrkarte und das Auto einigermaßen halten, Essen war schwierig. Unsere Eltern gaben uns auch etwas Unterstützung, wenn wir fragten. Um dies zu vermeiden, reparierte ich nach Dienstschluss Fernseher, Herde, Waschmaschinen und alles was bei mir fremden Menschen kaputt ging. Meine Freundin organisierte die Aufträge und ich habe keine Ahnung, wo sie die her hatte. Eine Goldgrube war das nicht, aber es half für Essen oder die Fahrt zu Eltern und Freunden am Wochenende.
Im San-Bereich verschwand der alte Arzt etwa 3 Monate nach meinem Eintritt. Ich weiß nicht warum und so plötzlich, aber er war sehr verschlossen und gefühlt niemand konnte mit ihm Reden. Die Trauer der Kollegen über sein Ende als diensthabender Arzt im San Bereich hielt sich in Grenzen. Er unterschrieb beispielsweise Impfbücher grundsätzlich nicht und es traute sich niemand, ihn zu fragen oder zu bitten. Offenbar hatten Kollegen aus früheren Generationen dies bereits versucht, denn es hielt sich das hartnäckige Gerücht, dieses und ähnliche Themen niemals anzusprechen.
Was tun, wenn der Doc solche Dokumente, die für die Kollegen ja wichtig waren, nicht signiert? Gottlob hatte er eine relativ einfache Signatur und die Kollegen bekamen ihre nun rechtskräftigen Impfbücher und Dokumente.
Die Wochen ohne Doc überbrückten wir mit Sammelfahrten von Patienten in die Nachbarkaserne. Die, die laufen konnten, mussten zu Fuß wandern, die anderen wurden gefahren und wieder abgeholt. Die Zahl der Fußkranken stieg kurzfristig an, bis unser San-Feldwebel eine Voruntersuchung machte.
Wir bekamen eine Ärztin. Sie war eine der ersten Frauen, die bei der Bundeswehr eingesetzt wurden und eine Sensation. Wenn ich San-Begleitung für andere Kompanien machte, wurde ich immer darauf angesprochen. Wie ist eine Frau, die freiwillig zur Bundeswehr geht?
Sie war nett, aber auch zielgerichtet. Sie wusste was sie wollte und trat selbstsicher auf. Sie behandelte unsere Patienten wie es ein Hausarzt tun würde. Die Jungs hatten Respekt vor ihr, aber auch Vertrauen. Und ihren Respekt verteidigte sie mit ungewöhnlichen Aktionen.
Vor größeren Übungen stieg stets die Zahl der Spontanerkrankungen an. Highlight war dabei immer Durchfall, der konnte nicht so einfach negativ diagnostiziert werden. Nachdem die Ärztin bei zwei oder drei Rekruten eine rektale Untersuchung der Festigkeit des Stuhls durchgeführt hatte, kam niemand mehr mit Durchfall. Auch nicht die, die welchen hatten. Innerhalb weniger Stunden hatte sich das in ganz Kassel herumgesprochen.
Es kam auch alle drei Monate ein neuer Rekrut in den San-Bereich und ein ausgedienter kehrte in sein ziviles Leben zurück. Die Neuen wurden eingearbeitet und machten dann irgendwann selbständig die Voruntersuchung von spontan Erkrankten. Nach dem ein neuer Kollege die Voruntersuchungen machte, stieg die Zahl der Verdachtsfälle auf schwere Herz- und Kreislauferkrankungen schlagartig an. Bei der Untersuchung durch die Ärztin war aber alles okay. Es hat ein paar Tage gedauert, aber irgendwann fanden wir den Grund für die gemessenen Herzfrequenzen und Blutdruckwerte zwischen Mumie und Extremsportler.
Der neue Rekrut hatte keine Armbanduhr und im Untersuchungsraum gab es auch keine. Sicher wegen eines Verbotes. So ließ er die Patienten bis 15 zählen und er selbst zählte die Pulsschläge. Dann multiplizierte er mit 4 und heraus kam ein ziemlich zufälliger Wert für den Puls. Beim Blutdruck schätzte er die Werte und variierte sie über den Tag, damit seine Schätzung plausibler erschien.
Ich baute aus drei Zeitgeberbausteinen NE555 und ein paar Widerständen eine kleine Box mit Taster, Leuchtdiode und einen Summer aus dem alten Wecker, der daheim an meinem Bett stand um das Radio zum Wecken einzuschalten. Den Summer brauchte er dazu nicht. Dieses kleine Kästchen blinkte und summte dann kurz, wenn 15 Sekunden nach dem Tastendruck vergangen waren. Damit wurden die Pulswerte wieder normal und in Blutdruckmessen bekam der Junge intensive Einweisungen. Emphatisch und sozial war er eine Granate, für den Rest des Überlebens in freier Wildbahn noch in der Lernphase.
Im San-Bereich gab es unter dem Arzt als fachlichen und dem Feldwebel als militärischem Vorgesetzten noch zwei Zeitsoldaten, die sich verpflichtet hatten. Die machten eine Unteroffizierslaufbahn und bekamen mehr Geld und hatten dafür auch mehr Stress. Sie mussten sich immer 'gut benehmen', den Vorgesetzten 'wohlwollend gegenüberstehen', also kratzen und in den Hintern kriechen. Ich als Wehrpflichtiger machte das nicht und erreichte damit nur den Status des Obergefreiten. Üblich wäre eine Beförderung eine Stufe höher, aber nicht für mich. Es war und ist nicht wichtig und es gab sogar Wehrpflichtige, die ewig Schützen blieben. Das waren die coolsten, denen ging alles am A*sch vorbei. Die mussten allerdings aufpassen, dass sie nicht in den Bau (das Militärgefängnis) mussten. Das kann schnell passieren und hat dann je nach Schwere des Vergehens auch zivilrechtliche Konsequenzen, z.B. eine Vorstrafe, die auf immer und ewig auch das zivile Leben erlegen kann. Man sagte, dass auch einfache Feldjäger, also die Militärpolizei das Recht hätten, eine Inhaftierung zu verfügen. Die Kerls bei den Feldjägern hatten also Willkürspielraum und waren irgendwie auch ziemlich komisch drauf. Am besten war es, großen Abstand zu denen zu haben und auch im zivilen Leben außerhalb deren Sichtweite zu bleiben. Die Uniform kann man ablegen, sein Gesicht nicht. Und die kannten uns, unsere Autos und unsere Gewohnheiten ganz sicher. Auch heute tauche ich noch instinktiv bei der Sichtung von Feldjägern ab.
Aber das wollte ich in diesem Absatz gar nicht erzählen. Ich wollte von 'meinem' Unteroffizier sprechen. Jeder Wehrpflichtige hatte irgendwie 'seinen' Ufz, dem er direkt unterstand. Er konnte mir also Befehle geben, die ich ausführen musste. Er war ein kleiner, junger und unsicherer Kerl. Und er hatte Angst wegen seiner sexuellen Orientierung. Er lebte mit seinem Freund zusammen und das durfte niemand wissen. Es gab noch den Paragraphen 175, der Homosexualität unter Männern unter Strafe stellte. Dieser sollte zwar abgeschafft werden, war aber noch in Kraft. Und je nach Toleranzlevel der Feldjäger oder der Vorgesetzten stand er immer mit einem Bein im Bau. Ich war 6 Jahre älter als er und war mit meiner größeren Lebenserfahrung und Gelassenheit irgendwie ein Vorbild für ihn. Wir wurden Freunde und spielten nach Außen den Gefreiten und den Ufz. Als ich das letzte Jahr nicht mehr in Kassel wohnte, fuhren wir gemeinsam zum Dienst, da er im Nachbardorf wohnte. Es ist nicht so, dass wir dauernd zusammenhingen, aber wir konnten uns aufeinander verlassen, Probleme diskutieren oder Spaß haben und Witze machen. Auch nach meinem Wehrdienst besuchte ich die beiden noch manchmal im Nachbardorf, aber dann ging ich dauerhaft nach Frankfurt und der Kontakt ging ein.
Mit ihm habe ich einige Wochenenden in der San-Bereitschaft auf 6 Quadratmetern in einem Miniaturraum an der Pforte des San-Zentrums verbracht. Ab und zu kamen Patienten, die wir erstversorgten oder in die zivile Notaufnahme brachten. Als Soldat darf man nicht einfach zum Arzt. Ein paar Einsätze mit Blaulicht hatten wir auch, dabei ging es fast immer um Zuhause am Wochenende kollabierte Kollegen mit Rücken oder Stürze oder kaputte Füße. Je nach Beschreibung des Falls und besonders wenn die Angehörigen anstatt der Patient selbst anrief, baten wir den zivilen Rettungsdienst dazu. Mindestens in einem Fall hat das wahrscheinlich dem Kollegen das Leben gerettet, während wir am Telefon der Freundin des Patienten Anleitung in Erster Hilfe gaben, reiste der zivile Rettungsdienst an. Der arme Kerl hatte sich während einer Übung dermaßen verausgabt, dass sein Kreislauf am Wochenende mit mutmaßlichem Herzflimmern komplett zusammengebrochen war. Als Zeitsoldat ist halt voller Einsatz zu zeigen. Sarkasmus wieder aus. Seine Freundin konnte das stabilisieren oder es hat sich selbst gefangen. Das weiß ich nicht. Er hat überlebt und der Rettungsdienst brauchte nicht reanimieren. Schwein gehabt. Auch für uns. Das hätte sicher Ärger gegeben. Mein Bauchgefühl, im Zweifelsfall schnell die zivilen Profis hinzuzuziehen, hatte wieder Recht gehabt, auch wenn es im Nachhinein manchmal blöde Ansprachen darüber gab.
Resümee
Was habe ich vom Bund mitgenommen?
Zunächst hat sich mein Kontakt zu Alkohol intensiviert, um es vorsichtig auszudrücken. Bier oder Wein war nach dem Bund auch mein ständiger Begleiter, aber nur abends. Dann war es still im Kopf und ich konnte schlafen. Damals wusste ich nicht, warum der Kopf tobt und das Alkohol zwar eine Lösung dafür ist, aber zu einer Sucht wird. Ich habe das irgendwann festgestellt, das da 'etwas' nicht stimmt mit dem Konsum. Alkoholiker wissen, dass sie Alkis sind, sind aber Meister im Verdrängen. Die Entscheidung zum Aufhören stand und ich habe das ein paar Jahre nach dem Bund durchgezogen. Allein. Das war eine Kacke und ich habe gedacht, dass mit dem tobenden Kopf und der Schlaflosigkeit würde auch irgendwann wie das craving schwächer werden. Ganz aufhören tut das nie, aber man kann gut damit leben. Aber der Kopf, der bleibt so. Neurodivergenz kannte man noch nicht. Ich habe damit leben gelernt, aber es nervt, zumal wenn man morgens fit zur Arbeit muss. Müdigkeit ist aber immer noch besser als ein Kater.
Ich habe gelernt, mich zu 'verpissen', also unsichtbar zu machen und Dinge zu 'organisieren'. Ich habe viele Erfahrungen in medizinischer Versorgung und den Umgang mit Menschen auch als Patienten gesammelt. Ich hätte mir vorstellen können, in diesem Bereich zu arbeiten. Es ist einer der wenigen Berufe, in denen man sofort Rückmeldung bekommt, wenn etwas gut war. Allerdings auch, wenn nicht.
Ich habe den LKW Führerschein mitgenommen und war wieder Single.
Ich habe große Teile meiner Selbstsicherheit verloren und Jahre gebraucht, um nicht immer nur die Schuld bei mir selbst zu suchen. Und die Kreativität war weg. Die kam nur sehr langsam zurück. Selbstsicherheit und Kreativität ist aber genau das, was die jungen Wesen heute brauchen um sich zu behaupten, um nicht unterdrückt und ausgenutzt zu werden. Und um ihre Zukunft überhaupt noch zu erleben.
Es hat sehr lange gedauert, bis ich meine Eigeninitiative wieder aufgebaut hatte. Beim Bund bekommst Du einen Befehl, dann machst Du irgendwas (LKW schmieren, Patienten versorgen, Stube kehren etc), und wenn kein Befehl kommt, hast Du Ruhe. Und die ist wertvoll, weil jederzeit irgendein anderer Befehl kommen könnte. In der Zwischenzeit was anderes zu machen, lohnt einfach nicht. Das Leben ist komplett fremdbestimmt und eigene Initiative nicht erwünscht.
Noch länger hat es gedauert, bis ich mein Leben wieder auf der Reihe hatte. Wie bei fast allen Kollegen ist auch meine Beziehung in die Brüche gegangen - obwohl ich fast immer nach Feierabend zu Hause bei meiner Freundin in unserer Wohnung war. Es lag an mir. Durch einige Anmerkungen im Text habt ihr das sicher schon geahnt. Der Wehrdienst verändert das Wesen. Man wird gleichgültiger, ist oft müde und unzufrieden und kann die Beziehung nicht mehr richtig pflegen. Im Leben des Partners ändert sich ja nichts gravierendes, aber der Wehrpflichtige ist nicht mehr der Alte und das belastet die Beziehung. Ich bin drei Monate vor Dienstende aus unserer Wohnung ausgezogen und zurück zu meinen Eltern. Die Freundin behielt die Wohnung, sie war kurz vor ihrem Abschluss und hatte einen Job in Aussicht. Ich bot Hilfe an, aber sie meinte, es würde finanziell gehen. Entweder hatte sie einen neuen Freund oder ihre Eltern halfen ihr. Jahre später habe ich sie nochmal getroffen aber die Beziehung nicht wieder aufnehmen wollen.
Während der Zeit beim Bund und danach habe ich mir immer geschworen, dieses Erlebnis und die Erfahrung der militärischen Zerstörung der eigenen Identität meinem potentiellen zukünftigen Kind ersparen zu wollen.
Inzwischen ist das Kind schon lange da und nun die Wehrpflicht auch wieder. Er ist (noch) in einem anderen Jahrgang, aber es wird ja schon eifrig über eine Ausweitung diskutiert.
Oma fragte mich letztens, ob ich meinen würde, dass ihr Enkel auch irgendwann zum Militär müsste. Wir waren damals trotz kaltem Krieg sehr sicher, nicht in einem echten Kriegseinsatz zu müssen.
Für die neuen Wehrpflichtigen sieht das nicht so aus. Die aktuelle Situation ist ganz anders.